Kontrolliere dein Wissen – Die unkontrollierte Kettenreaktion

1. Wie entsteht eine unkontrollierte Kettenreaktion

Um zu verstehen, was eine unkontrollierte Kettenreaktion ist, muss zunächst verdeutlicht werden, was genau eine Kettenreaktion in der Atomphysik ausmacht. Alle Materien bestehen aus Atomen. Atom bedeutet eigentlich “unteilbar”, eine Vorstellung, die seit der Antike vorherrschte. Erst 1897 entdeckte Joseph John Thompson, dass Atome aus mehreren kleinen Teilchen mit bestimmter Ladung und Masse bestimmen müssen, was die bis dahin populäre Meinung der Unteilbarkeit des Atoms widerlegte. Atome sind immer elektrisch neutral. Ihr Innerstes, der Atomkern ist positiv geladen. Er besteht aus Protonen und Neutronen. Zwar ist der Atomkern der kleinste Bestandteil eines Atoms – sein Durchmesser ist 20.000 bis 15.000 mal geringer als die Hülle des Atoms – er vereinigt jedoch 99,9 Prozent der Masse des Atoms in sich. Die leichten Elektronen in der Hülle machen daher nur 0,1 Prozent der Atommasse aus. Anhand der Anzahl der Protonen im Atomkern wird demnach auch die Anzahl der Elektronen des Atoms festgelegt, da das Atom ja elektrisch neutral ist. Die Art und Weise wie sich diese Elektronen dann in der Hülle strukturieren, hängt ebenfalls von ihrer Anzahl ab. Diese sogenannte Elektronenkonfiguration gibt dann Auskunft über die chemischen Eigenschaften eines Atoms.

Was hat dies nun mit einer unkontrollierten Kettenreaktion zu tun? Nachdem nun der Aufbau eines Atoms verdeutlicht wurde, lässt sich das Prinzip besser verstehen. Als Spaltmittel für eine Kettenreaktion werden Neutronen verwendet, da diese durch ihre neutrale Ladung von dem positiv geladenen Atomkern nicht abgestoßen werden. Bei dem Kontakt des Atomkerns mit dem Neutron kommt es zur Kernspaltung. Dabei spaltet sich der Atomkern in zwei Hälften und zwei oder drei freie Neutronen. Die Masse der Hälften macht fast jeweils genau die Hälfte der ursprünglichen Atommasse aus. Durch die Kernspaltung wird Energie freigesetzt. Als Kettenreaktion wird nun der Vorgang bezeichnet, bei dem die freigesetzten Neutronen die Spaltung mindestens eines weiteren Atomkerns auslösen. Diese Kettenreaktion gilt als kontrolliert, solange die freigesetzten Neutronen nur die Kernspaltung eines weiteren Atomkerns auslösen. Sobald die Anzahl der gespaltenen Atomkerne kleiner ist, verlischt die Kettenreaktion, ist sie aber größer, entwickelt sie sich sehr rasch zu einer unkontrollierten Kettenreaktion. Um die Kettenreaktionen, die in Atomreaktoren ablaufen, zu kontrollieren und die Kernspaltung auf jeweils eine Spaltung pro Vorgang zu begrenzen, werden neutronenbindende Elemente eingesetzt wie beispielsweise Bor oder Cadmium. Dieser Vorgang wird gründlich beobachtet. Bei der unkontrollierten Kettenreaktion kann es jedoch, wie es schon der Name andeutet, zu vielen Kernspaltungen gleichzeitig kommen. Nach 20 solcher Abläufe sind es bereits um die 3,5 Milliarden Atomkerne, die gleichzeitig gespalten werden. Niemand kann einen solchen Vorgang oder auch die unglaubliche Menge an freigesetzter Energie kontrollieren. Unkontrollierte Kettenreaktionen kommen beispielsweise bei dem Abwurf einer Atombombe oder auch bei einem nuklearen Unfall in einem Atomkraftwerk vor.

2. Die Zutaten – Was benötigt man für eine unkontrollierte Kettenreaktion?

Nicht alle Arten von Atomkernen sind gut spaltbar. Um eine unkontrollierte Kettenreaktion, die auch als thermonukleare Explosion bezeichnet wird, in Gang zu setzen, verwendet man klassischerweise Uranisotope oder Plutoniumisotope. Bestimmte Uranisotope und auch Plutonium haben eine sehr hohe Spontanspaltungsrate. Das bedeutet, dass sie so eine instabile Atomstruktur haben, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es zur Spontanspaltung kommt, so hoch ist, dass diese auch oft ohne zugegebenes Neutron abläuft.

Uran ist ein Schwermetall, das in der Natur in den Isotopen Uran-235 und Uran-238 vorkommt. Spaltfähig ist allerdings hauptsächlich das Isotop Uran-235, den man nur in kleinen Mengen in der Natur findet. Um Rohstoffe für die Kernspaltung zu gewinnen, bedarf es daher zunächst der Urananreicherung. Für diese Anreicherung verwendet man eine Fluorverbindung des Urans, das Uranhexafluorid. Mithilfe der Zentrifugalkraft wird so Uran-235 angereichert. Da das Uran-235-Hexafluorid etwas leichter ist als das Uran-238-Hexafluorid, reichert es sich in der Mitte der Zentrifuge an und kann dann dort abgesaugt werden. Dieser Vorgang wird dann mit diesem neu gewonnen Uran-235-Hexafluorid immer wiederholt, wobei kontinuierlich mehr Uran-235 entsteht, bis die gewünschte Menge an Uran-235 erreicht ist. Dabei gilt, dass man für den normalen Betrieb in Atomkraftwerken nur einige Prozent Uran-235 benötigt. Bei diesen wenigen Prozent Uran-235, die im Uran enthalten sind, das in Kernkraftwerken verwendet wird, lässt sich dann die Kettenreaktion noch kontrollieren. Um unkontrollierte Kettenreaktionen beispielsweise wie bei Atombomben zu fördern, benötigt man mindestens 80 Prozent Anreicherungsgrade.

Plutonium hingegen wird niemals in normalen Atomreaktoren bewusst eingesetzt. Es entsteht dort lediglich als Abfallprodukt, das dann entsprechend unter großen Sicherheitsvorkehrungen und in einem geeigneten Behälter entsorgt werden muss. Da es sich spontan spaltet, eignet es sich nicht für den normalen Betrieb im Atomkraftwerk. Zwar erfolgt die Spontanspaltung zu einer sehr langsamen Zeitrate, trotzdem wäre das Plutonium nicht kontrollierbar. Diesen Effekt wünscht man sich aber bei unkontrollierten Kettenreaktionen. Es gibt Spezialreaktoren, die absichtlich besonders große Mengen von bestimmten Plutoniumisotopen (Plutonium-239) herstellen, das zum Bau von Atomwaffen geeignet ist.

3. Wer braucht überhaupt unkontrollierte Kettenreaktionen?

Die unkontrollierte Kettenreaktion kommt, wie bereits angesprochen, hauptsächlich beim Bau von Atomwaffen zum Einsatz. Im normalen Atomreaktorbetrieb ist sie nicht erwünscht und sogar sehr gefährlich. Trotzdem kommt es auch in diesem Zusammenhang immer wieder zu Unfällen.

Für den Bau einer Atomwaffe wird eine hohe Anreicherungsrate von Plutonium benötigt, die bei über 92% liegt. Da das Plutonium, wie bereits angesprochen, normalerweise eine sehr langsame Spontanspaltungsrate hat, muss man beim Bau einer Atomwaffe diesen Vorgang künstlich beschleunigen. Im zweiten Weltkrieg erfanden die Amerikaner im Rahmen des Manhattan-Projekts einen Prozess, der dies ermöglichte. Sie trennten die kritische Masse des Plutoniums in zwei unkritische Massenanteile und fügten noch konventionellen Sprengstoff als Zündladung der Bombe hinzu. Beim Abwurf der Bombe wurde dann der Sprengstoff entzündet und das Plutonium wurde mit etwa zehnfacher Schallgeschwindigkeit aufeinander geschossen, was die Spontanzerfallreaktionen erheblich ansteigen ließ. Die freigesetzte Menge an Sprengkraft entsprach dabei 20.000 mal der Wirkung des herkömmlichen Sprengstoffs TNT. Diese Sprengkraft schöpft sich dabei aus der bei der Explosion freigesetzten Druckwelle und Hitzewelle.

4. Beispiele für unkontrollierte Kettenreaktionen aus der Geschichte

Unkontrollierte Kettenreaktionen haben in der Menschheitsgeschichte bisher hauptsächlich Leid und Tod ausgelöst. Das berühmteste Beispiel für die Auswirkungen von unkontrollierten Kettenreaktionen finden sich sicher bei dem Atombombenabwurf von Hiroshima und Nagasaki durch die Amerikaner zum Ende des zweiten Weltkrieges. Man schätzt die Zahl der Opfer durch diese zwei Atombomben heute auf circa 200.000 Menschen.

Unkontrollierte Kettenreaktionen fanden auch bei Unfällen in Atomreaktoren statt. Die berühmtesten Beispiele sind dabei die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986 und die Nuklearkatastrophe von Fukushima in Japan 2011. In beiden Fällen kam es dabei zu unkontrollierte Kettenreaktionen.


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