Warum man keine radioaktiv belasteten Pinsel abschlecken sollte: Die Erzeugung künstlicher Radioaktivität

1. Was ist künstliche Radioaktivität überhaupt?

In der Natur kommt natürliche Radioaktivität vor. Letztendlich bedeutet Radioaktivität, dass geladene Teilchen ihren Zustand verändern und dabei Energie in Form von ionisierender Strahlung abgeben. Dem Ehepaar Irène und Frédéric Joliot-Curie gelang es im Jahre 1933, künstliche Radioaktivität zu erzeugen. Dazu führten sie bestimmten Proben natürliche Alphastrahlung zu. Diese neu entdeckten Isotope haben in der Natur kein Vorkommen, da sie verhältnismäßig eine sehr kurze Halbwertszeit haben. Jedes Element hat mehrere Isotope, die sich dabei lediglich in der Masse ihres Atomkerns unterscheiden. Die meisten natürlichen Isotope sind stabil, da ihre radioaktiven Isotope eine sehr kurze Halbwertszeiten haben und sehr schnell zerfallen. Für die Alphastrahlung verwendete das Ehepaar das natürliche radioaktive Element Polomonium, das bereits 1898 von Irènes Mutter Marie Curie entdeckt worden war. Mit dieser Alphastrahlung des Poloniums bestrahlten sie Aluminiumfolie, sowie die Elemente Bor und Magnesium. Dabei gelang es ihnen, künstliche radioaktive Isotope herzustellen. Die künstliche radioaktive Strahlung, die von diesen neu kreierten radioaktiven Isotopen ausgeht, ist der natürlichen radioaktiven Strahlung ähnlich: Es gibt Alphastrahlung, Betastrahlung, Gammastrahlung, Neutronenstrahlung und den Elektroneneinfang. Die neue Entdeckung, die das Ehepaar Joliot-Curie machte, besagte, dass es nun möglich war, diese bereits in der Natur vorkommende Strahlung künstlich erstellen zu können. Heutzutage gibt es etwa 3000 verschiedener solcher künstlich erzeugter radioaktiver Isotope. Wie aber kommt die Strahlung in der Natur vor und wie entsteht sie? Darauf wird im Folgenden eingegangen.

2. Was ist natürliche Radioaktivität?

Natürliche Radioaktivität entsteht bei bestimmten Atomen, die in ihrem Atomkern eine bestimmte Zusammensetzung aus Protonen und Neutronen aufweisen und daher zu der Art der Nukliden gezählt werden. Innerhalb dieser Gruppierung der Nuklide gibt es in der Natur 256 als stabil geltende Nuklide und ungefähr 80 Radionuklide. Diese Radionuklide sind inhärent instabil in ihrer Zusammensetzung. Das bedeutet, dass die im Atomkern dieser Nuklide vorherrschenden Anziehungskräfte nicht ausreichen, um die Abstoßungskräfte der positiv geladenen Protonen untereinander vollkommen unterdrücken zu können. Daher tritt der sogenannte Alpha-Zerfall (Abkürzung: α-Zerfall) auf. Der Atomkern strebt danach, wieder ein Gleichgewicht der Kräfte herzustellen und ein Alphateilchen tritt aus. Um in den Ruhezustand zurückzukehren, sendet der Atomkern Gammastrahlung aus. Diese Gammastrahlung ähnelt in ihrer Zusammensetzung den Röntgenstrahlung. Natürliche Radioaktivität tritt auch im Fall des Beta-Minus-Zerfalls auf. Der Unterschied zur Alphastrahlung besteht darin, dass der Atomkern eine geringe Protonenanzahl und eine höhere Neutronenzahl aufweist, aber genauso instabil ist. Auch nach dieser Kernumwandlung tritt Gammastrahlung aus. Zusätzlich zu diesen gängigen Strahlungsarten existiert auch in der Natur die Neutronenstrahlung, allerdings nur in den oberen Teilen der Atmosphäre. Auch der Elektroneinfang existiert sowohl in der Natur als auch bei der künstlichen Radioaktivität: Dabei wird von der Atomhülle ein Elektron “eingefangen” und somit ein Proton in ein Neutron umgewandelt.

3. Wozu kann man künstliche Radioaktivität verwenden?

Künstliche Radioaktivität wird in vielen verschiedenen Anwendungsbereichen genutzt. Dazu zählen primär die Forschung, die Medizin und die Industrie. In der Forschung wird künstliche Strahlung zum Beispiel in der analytischen Chemie und in der Radionuklid-Analytik verwendet. Auch im Bereich der Tracer-Forschung kommen sie zum Einsatz. Dabei möchte man beispielsweise anhand von geringen Konzentrationen eines bestimmten Stoffes zum Beispiel die Bewegung des Wassers eines Flusses analysieren können, um so Aussagen über die Veränderungen des gesamten Systems treffen zu können. Generell bedeutet Tracer-Forschung, dass man Prozesse mithilfe bestimmter radioaktiver Stoffe nachweisen kann. In der Medizin nutzt man künstliche Strahlung, um in der Diagnostik Krankheitsursachen zu ermitteln. Dazu zählt die Röntgendiagnostik, um beispielsweise Brüche nachvollziehen zu können oder auch genaue Lungenuntersuchungen durchzuführen. Aber auch für die Therapie von beispielsweise Krebserkrankungen wird künstliche Radioaktivität genutzt. Mit den ionisierenden Strahlungen werden Krebstumore eingeschränkt oder zerstört. In der Industrie ist die bekannteste Anwendung von künstlicher Radioaktivität in der Kernkraftindustrie zu finden. Atomkraftwerke werden durch Neutronenstrahlung betrieben, mit der kontrollierte Kettenreaktionen ausgelöst werden. Es ist mithilfe von künstlicher radioaktiver Strahlung aber auch möglich, Aussagen über Materialeigenschaften wie Dicke, Flächenmasse und Feuchte zu treffen. Es lassen sich aber auch Objekte auf Schäden wie Risse untersuchen, die allgemein einen hohen Sicherheitsstandard erfüllen müssen, wie beispielsweise Rohre oder Container für Schadstoffe. Dafür werden bestimmte radioaktive Isotope verwendet. Für die Überprüfung von Schweißnähten verwendet man beispielsweise die Nuklide Selen-75 und Iridium-192. Künstliche Radioaktivität ist also im Allgemeinen nicht nur ein wissenschaftliches Forschungsinstrument. Das Ehepaar Joliot-Curie hat mit ihrer Entdeckung den Weg für viele alltagstaugliche Anwendungsmöglichkeiten bereitet.

Am Anfang stand – aber wie bei so vielen Sachhverhalten – erstmal die Unvorsicht. Das zeigt ganz deutlich die Geschichte der Radium Girls um 1920 in den USA, Fabrikarbeiterinnen, die in einer Fabrik Uhrzeiger mit fluoreszierender, radioaktiver Farbe bemalten. Dabei wurde ihnen geraten, die Pinsel abzuschlecken, um so feiner malen zu können. Außerdem malten sie sich Gesichter und Fingernägel damit an. Ihre Lebenspartner staunten, dass die “Radium Girls” auch im Dunklen leuchteten. Die Gesundheitsschäden wurden tragischerweise erst später bekannt.


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